12.06.2022, 14,4km
Startpunkt: N51° 16.107' E9° 26.496'

Oberzwehren - Mattenberg - Firnsbachtal - Hohes Gras - Herkules

Thomas sitzt im Zug, es ist gegen 17:00 Uhr, die Sonne geht nicht vor halb zehn unter. In mir setzt sich eine Idee fest: Warum nicht versuchen, die Route heute noch komplett zu beenden?

Nach der längeren Pause machen die Beine wieder mit. Vom Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe, wo ich Thomas eben verabschiedet habe, ist es zum „Wiedereinstieg“ in die Tour nur eine Station mit der Regionalbahn. Sollte ich feststellen, dass es nicht „läuft“, bestehen wenige Kilometer nach dem Start Möglichkeiten, mit der Tram oder dem Bus wieder zurück ins Stadtzentrum zu kommen.

Gedacht, getan.

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Panoramablick in Richtung Mattenberg

Der Bahnhof Kassel-Oberzwehren ist schnell erreicht. Parallel zur Bahnstrecke (jetzt natürlich auf der anderen Seite) geht es zunächst ein Stück in Richtung des Punktes, wo uns die tatsächlichen Gegebenheiten am Mittag die Überquerung der Bahnstrecke versagt haben. Es folgt ein kurzer Weg durch ein Wohngebiet, danach komme ich ins Grüne. Es ist nicht mehr so heiß wie am Nachmittag und ich fange ich an, mich wieder „warm“ zu laufen. Dabei erwartet mich schon die nächste Umleitung, weil ein Fuß- und Radweg aufgrund von Bauarbeiten an der A44-Brücke gesperrt ist. Diese ist aber schnell bewältigt und ich erreiche zügig die erste Ausstiegsmöglichkeit, nämlich die Tramhaltestelle „Mattenberg Siedlung“.

Da mich der Ehrgeiz gepackt hat, lasse ich die Haltestelle aber hinter mir und folge der Tour, die mich erst durch ein Wohnquartier und dann wieder ins Grüne führt. Am Rand von Feldern geht es leicht bergauf und der eine oder andere Blick zurück beschert mir schöne Panorama-Aussichten auf Kassel. So nähere ich mich einer Unterquerung der Autobahn A44, nach der ich das Naturschutzgebiet Baunsberg erreiche. Die Route führt einen Waldweg entlang, aber leider genau neben der Autobahn mit entsprechender Geräuschkulisse, weshalb ich das Wegstück schnell hinter mich bringe.

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Kleines Herbsthaus

Nach einem erneuten Seitenwechsel über die A44 und einem Stück entlang der Konrad-Adenauer-Straße geht es wieder in den Wald. Nach kurzer Zeit verläuft die Route in schöner Waldrandlage in Richtung Hirzstein, den ich aber „umwandere“. Einigen Waldwegen folgend, komme ich schließlich zur Straße „Firnsbachtal“. Hier streife ich eine idyllisch gelegene Ansiedlung und treffe das letzte Mal vor dem Herkules auf Gassigänger bzw. Wanderer.

Kaum habe ich die Häuser hinter mir gelassen, geht es im Wald immer deutlicher bergan. Zunächst auf einem gut ausgebauten Forstweg, dann mitten über eine Lichtung bzw. Wiese, bis sich schließlich eine große Weidefläche auftut. Auf dieser begrüßt mich das „Kleine Herbsthaus“, ein teilweise baumbestandenes Hügelchen, welches sich im Abendlicht von seiner besten Seite zeigt.

Während ich über die Weide bzw. Wiesenfläche stapfe, verliert sich der Pfad vorübergehend im Gras. Ich bin zwar recht schnell wieder in die richtige Richtung unterwegs, frage ich mich zu diesem Zeitpunkt allerdings kurz, ob es klug war, die Route heute noch fertig laufen zu wollen.

Auf dem Kasselsteig
Auf dem Kassel-Steig

Von meinem jetzigen Standort aus dürften die Wegstrecken zu einem Ausstiegspunkt vorwärts wie zurück keinen großen Unterschied machen, also entscheide ich mich für das Weiterwandern. Wie zur Bestätigung und Motivation erspähe ich schon bald den Herkules das erste Mal wieder in der Ferne.

Das Ziel im Blick, geht es - alle Kräfte mobilisierend - mit erhöhtem Tempo weiter bergauf. Der Weg ist wunderschön, jetzt allerdings ein bisschen holprig. Kein Wunder mag man meinen, wandere ich doch zeitweise auf dem „Kassel-Steig“ (ich streife hier die 11. Etappe dieses lohnenswerten Panoramawanderwegs rund um das Kasseler Becken).

Gegen halb neun erreiche ich die Waldgaststätte „Hohes Gras“ mit Aussichtsturm, wo um diese Uhrzeit keine Menschenseele mehr ist. Da ich laut Routenplanung noch mindestens eine Stunde Wanderung vor mir habe und es spätestens dann dunkel wird, verweile ich nicht, sondern lasse diesen schönen Abschnitt und damit auch den höchsten Punkt der Wanderung schnell hinter mir.

Herkules
Herkules

Ich wandere weiter in Richtung Herkules. Es geht durch ein Waldstück und ich bleibe (einen vorgesehenen Abstecher zum „Großen Steinhaufen“ auslassend) in der Nähe der Ehlener Straße.

Eigentlich habe ich den festen Vorsatz, das Sichelbachbecken zu erreichen, an dem wir unseren „Grenzweg“ am Vortag offiziell starteten. Aber es wird jetzt schon langsam duster, so dass meine Geschwindigkeit und ein „vorausschauendes Sehen und Gehen“ im Wald nicht mehr zueinander passen wollen. Deshalb entscheide ich mich, dieses Vorhaben aufzugeben, die Route zu verlassen und die wenigen verbleibenden Kilometer zum Herkules auf der Straße zurückzulegen. Viel Verkehr ist nicht mehr, der eine oder andere Ausflügler fährt nach Hause oder (vielleicht zum Sonnenuntergangs-Schauen) noch zur Herkulesstatue hinauf.

Den Versuch, in Höhe des Golfplatzes Kassel-Wilhelmshöhe statt der Straße den parallellaufenden Fußweg zu benutzen, breche ich wieder ab. Schade, aber mein Bauchgefühl mochte den Radfahrer irgendwie nicht, der mich beim Einbiegen auf den Weg (der etwas unterhalb der Straße verläuft und deshalb nicht einsehbar ist) erst überholte und sich dann in Sichtweite ganz präsent erleichterte.

am Ende der Reise
Am Ende der Reise

Zurück auf der Straße ist es nicht mehr weit bis zu den Parkplätzen hinter dem Herkules. Kurz vor Sonnenuntergang bin ich da und bekomme dessen „Kehrseite“ - von der untergehenden Sonne in schönstes Licht gesetzt – präsentiert. Am Fuße des Oktogon gestatte ich mir nun doch eine wohlverdiente und überfällige Pause und genieße mit dem Sonnenuntergang im Rücken den Blick hinunter nach Kassel. Dass es nun schnell dunkel wird, ist nicht schlimm, denn der Weg durch den Bergpark ist gut ausgebaut und es geht (ua wieder vorbei an den Kaskaden, der Teufelsbrücke, dem Gewächshaus und Schloss Wilhelmshöhe) ab jetzt ohnehin in raschem Schritt nur noch bergab.

Im Gegensatz zum frühen Morgen fährt an der Haltestelle Wilhelmshöhe (Park) abends noch die Tram und so mache ich mich gegen 22:00 Uhr auf den Weg in Richtung Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe und Hotel.

Bis hierher haben Energie, Wanderlust und sicher auch Adrenalin dafür gesorgt, dass ich gut durch diesen Tag gekommen bin. Die letzten Meter von der Tram-Haltestelle zum Hotel merke ich aber mehr als deutlich, was für eine Strecke ich (gestern und) heute zurückgelegt habe. Mit steifen Beinen im wohligen Komfort des Hotels am Kongress Palais angekommen, genieße ich die Freude darüber, dass ich die Wanderung so gut bewältigt habe.

Ob ich die Entscheidung, die Route am zweiten Tag zu Ende zu wandern, noch einmal treffen würde, weiß ich nicht: Rückblickend verdient der schöne Wegabschnitt mehr Zeit, um auch mal nach links und rechts schauen und innehalten zu können.